Das Unsichtbare Netz – Wie Lobbyismus Hochschulen, Forschung und Bildungspolitik beeinflusst

Ein Blick hinter die Kulissen der akademischen Machtspiele – Von Finanzkonzernen über Think Tanks bis zu politischen Entscheidungsträgern.

Autor: Christopher Leuthardt


In deutschen Hörsälen wird nicht nur Wissen verhandelt, sondern auch Einfluss. Zwischen Karriereevents und Kommissionssitzungen, zwischen Drittmitteln und Studienreformen spannt sich ein Geflecht aus Verbänden, Stiftungen, Unternehmen, Beratungen und staatlichen Akteuren. Dieser Text folgt den Fäden: historisch, strukturell, anhand einer Fallstudie und im internationalen Vergleich. Er zeigt Risiken für die akademische Freiheit – und Chancen, wenn Transparenz mehr ist als ein Schlagwort.

„Wissen ist Macht – Aber wer kontrolliert das Wissen?“


Das Zimmer ohne Namen

Der Raum trägt keinen Namen, nur eine Zahl auf dem Messingschild. Draußen drängen sich die Geräusche Berlins: Fahrradklingeln, eine Sirene in der Ferne, das vertraute Murmeln der Stadt. Drinnen Dämmerlicht, gedämpfte Stimmen, schwerer Vorhang, der Blick auf das Regierungsviertel. Der Tisch ist langeingedeckt, die Weingläser sind hoch, die Teller weiß und dünn. Jemand lacht leise – die Art Lachen, die Türen öffnet.

Ein Mann mit schiefem Einstecktuch – nennen wir ihn K. – begrüßt die Runde. K. ist kein Minister, kein Rektor, kein Lobbyist im Register. Er ist der Fadenknüpfer: Berater auf Zeit, Vertrauter auf Abruf, der Mann, der Nummern hat, die funktionieren. Neben ihm eine Abteilungsleiterin aus dem Bildungsministerium, gegenüber ein Rektor aus dem Süden, zwei Mitarbeiterinnen aus einer Stiftung, ein Vertreter eines Finanzdienstleisters, eine Partnerin einer Beratung. Auf der Karte steht „Bucht von Brest“, auf dem Tisch „Berechtigte Interessen“.

Zwischen Spargel und Steinbutt geht es um Sätze – nicht die auf den Tellern, sondern die im Gesetz: Bedarfssätze, Freibeträge, Rückzahlungsmodalitäten. Eine Reform des Ausbildungsförderungssystems muss „kommunikativ begleitet“ werden, sagt die Beraterin, „sonst wird das eine schlechte Geschichte“. Der Rektor nickt und erzählt von Laboren, die warten, von Professuren, die um Drittmittel kreisen wie Planeten um eine Sonne, die nie scheint.

Später, beim Dessert, faltet K. leise eine Serviette. Er spricht vom „Ökosystem Hochschule“, von Transfer, von Partnerschaften, von „kuratierten Lernreisen“ für Abgeordnete. Seine Sätze sind seidig, seine Bilder glatt. Jemand erwähnt ein Ranking, jemand anderes ein Karriereevent mit Finanzberatung, das „nur Netzwerk“ sei, und doch Kontakte schaffe, die sich in Verträge verwandeln. Die Abteilungsleiterin tippt etwas ins Telefon, hebt den Blick: „Wir brauchen eine belastbare Story.“

Das Dessert trägt Goldstaub. Es wäre kitschig, wenn es nicht so präzise zum Abend passte.

Lobbyismus an Hochschulen wirkt selten frontal, meist indirekt: Über Drittmittel, Rankings, Stiftungsprofessuren, Career-Services, Studienreformen. Seit den 1990ern stieg der Anteil drittmittelfinanzierter Forschung in Deutschland deutlich; Hochschulen konkurrieren systematisch um externe Gelder. Die Regulierung von Lobbyismus wurde zuletzt verschärft, bleibt aber lückenhaft – Insbesondere beim „Fußabdruck“ von Gesetzgebung und exekutiven Kontakten.


Historischer Kontext: Vom Elfenbeinturm zum Marktplatz

Als in den 1970er Jahren neue Universitäten gegründet wurden, lautete das Versprechen: Bildung für viele, Forschung für die Gesellschaft. Gleichzeitig begann ein Umbau, der sich erst langsam zeigte: Hochschulen wurden zu Organisationen, die um Aufmerksamkeit, Budgets und Reputation konkurrieren. In den 1990ern setzte sich der Begriff „Drittmittel“ als Strukturprinzip durch – Eine Chiffre für Abhängigkeiten, aber auch für Spielräume.

In den frühen 2000ern professionalisierten Stiftungen und Think Tanks ihre Hochschulprogramme, Beratungshäuser entwickelten Strategien zur „Exzellenz“, Ministerien forderten Transfer und Wirkung. Rankings etablierten eine Grammatik der Vergleichbarkeit, die sich tief in die Logik von Studiengängen und Fakultäten hineinfraß. Spätestens seit der Föderalismusreform 2006 beschleunigten sich die Unterschiede zwischen Ländern; Landeshochschulgesetze erlaubten flexiblere Kooperationen – Und öffneten Türen für Sponsoring und Projektpartnerschaften.

Die 2020er brachten neue Transparenzregeln: Ein verpflichtendes Lobbyregister auf Bundesebene, verschärft 2023/24; in einigen Ländern eigene Register. Gleichzeitig blieb die Praxis der Politikberatung volatil: Nicht jede Fachabteilung, nicht jeder Rektor, nicht jede Stiftung ist im Register sichtbar – Und nicht jede Konsultation hinterlässt Spuren, die Öffentlichkeit nachvollziehen kann.

Meilensteine des Lobbyismus in der deutschen Hochschulpolitik:
– 1970–1980: Universitätsgründungswelle; Ausbau staatlicher Grundfinanzierung; erste Kooperationsmodelle mit Industrie.
1990er: Durchbruch der Drittmittel-Logik; Etablierung großer Rankings; Professionalisierung von Stiftungs- und Think-Tank-Programmen.
2006: Föderalismusreform; Stärkung der Länderkompetenzen im Hochschulbereich; Flexibilisierung von Kooperations- und Governance-Modellen.
2006–2019: Exzellenzinitiative/Exzellenzstrategie; Wettbewerb als Leitmetapher; stärkerer Einfluss von Beratung und Stiftungen auf Governance-Diskurse.
2021–2024: Bundesweites Lobbyregister & Nachschärfungen; Debatte um legislativen/exekutiven „Fußabdruck“; Ausbau von Transparenzanforderungen – Bei spürbaren Lücken.


Die Netzwerke: Wer spricht mit wem – Und worüber?

Lobbyismus in der Hochschulwelt ist kein einzelner Akteur, sondern ein Ökosystem. Es beginnt mit Wirtschaftsverbänden, die Fachkräftesicherung und Technologietransfer als Hebel begreifen. Es führt über Stiftungen und Think Tanks, die mit Studien, Rankings und Programmen agieren – Teils in Kooperation mit Hochschulrektorenkonferenzen, teils im Verbund mit Ministerien. Beratungsfirmen kuratieren Strategieworkshops, erarbeiten Governance-Gutachten, begleiten Exzellenz-Bewerbungen. Studierendenorganisationen lobbyieren für soziale Belange, BAföG-Reformen, Mitbestimmung.

Wirtschaftsverbände (z. B. BDI, Branchenverbände):
Ziel: Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, Verfügbarkeit von Absolvent:innen, Stärkung der anwendungsnahen Forschung.

Stiftungen & Think Tanks (z. B. Stifterverband, CHE): Produzieren Studien, Rankings, Policy Papers; definieren Diskurse; fördern Programme und Pilotprojekte.

Beratungsfirmen: Entwerfen Strategien (Internationalisierung, Governance, Transfer), bauen Kennzahlsysteme, moderieren Stakeholderprozesse.

Studierendenorganisationen (DSW, fzs u. a.): Lobbyieren für soziale Öffnung, BAföG, faire Arbeitsbedingungen, akademische Freiheit.

Hochschulleitungen/HRK: Verhandeln mit Politik und Wirtschaft, bündeln Positionen, betreiben eigene Interessenvertretung.

Kommunikations- und Einflusskanäle:

Programm- und Projektförderung (von Stiftungen/Unternehmen): Thematische Agenda-Setzung, Sichtbarkeit, Talente.

Stiftungsprofessuren/Kooperationslehrstühle: Mittel- und langfristige Verankerung von Themen und Netzwerken – mit Chancen und Risiken.

Rankings & Benchmarks: Erzeugen Wettbewerbsdruck, strukturieren Entscheidungen (Ressourcenallokation, Profilbildung).

Career-Services & Campusformate: Einstiegstore für Unternehmen, auch jenseits klassischer Forschungspartnerschaften.

Politikberatung & Anhörungen: Expertise aus Verbänden, Stiftungen und Hochschulen fließt in Gesetzgebungsprozesse.

Fakten in Kürze (Netzwerke) – Lobbyismus im Hochschulsektor verläuft häufig über Wissensprodukte (Studien, Rankings) statt nur über persönliche Kontakte.

Schnittstelleninstitutionen (Karrierezentren, Transferstellen) sind operative Knoten: Hier werden Kooperationen praktisch.

Interessenkonflikte entstehen dort, wo Bildungs- oder Beratungsangebote zugleich Vertriebskanäle sind.


Fallstudie: MLP Finanz & Hochschulinitiative Deutschland

Ausgangslage

Die Hochschulinitiative Deutschland inszeniert sich als studentische Support-Plattform mit Seminaren, Vorlagen, Karriereformaten. Organisatorisch steht dahinter die Uniwunder GmbH – Seit einigen Jahren kooperiert die Plattform eng mit MLP, einem großen Finanzdienstleister mit Schwerpunkt auf akademischen Zielgruppen. In Veranstaltungsankündigungen und Datenschutzhinweisen ist MLP teils explizit als Partner und eventueller Empfänger von Kontaktdaten genannt.
Kritiker:innen bemängeln seit langem, dass kostenlose Seminare in Kontaktanbahnungen für provisionsbasierte Finanzberatungen münden können – Insbesondere bei jungen Studierenden mit geringer Finanz- und Versicherungserfahrung.

Was die Recherchen zeigen

  • Strukturelle Verflechtungen: Öffentliche Selbstdarstellungen von Uniwunder/Hochschulinitiative betonen die Kooperation mit MLP – Ein Karriere-Event („Perfect Match“) oder steuerbezogene Online-Workshops wurden in der Vergangenheit ausdrücklich „durchgeführt von MLP“ oder unter MLP-Beteiligung beworben. In Datenschutztexten finden sich Hinweise auf mögliche Datenübermittlung an MLP im Rahmen der Eventorganisation.
  • Campus-Präsenz & Vermittlungslogik: An mehreren Hochschulen wurden Workshops über Career-Services angeboten, die formal Skills vermitteln (Bewerbung, Gehalt, Steuern), operativ aber Kontaktkanäle zu MLP-Berater:innen öffnen. Verbraucherschützer sowie zivilgesellschaftliche Akteure kritisieren die Vermischung von Bildungs- und Vertriebslogik; Hochschulleitungen verweisen auf Freiwilligkeit und rechtliche Rahmen.
  • Universitäre Kooperationen: Aufsehenerregend war eine Kooperation mit einer großen Universität, die trotz öffentlicher Kritik zunächst fortgeführt wurde. Die Debatte kreiste um die Frage, ob solche Formate „neutrale Lehrveranstaltungen“ seien oder primär Vertriebsanbahnungen.

Stimmen aus der Praxis – Interviews (authentisch inszeniert, Namen auf Wunsch geändert)

Interview 1 – „Die Linie ist dünn“ (Career-Service-Leiterin, Süddeutschland): „Wir brauchen Angebote für Soft Skills, und Partner liefern sie – oft schneller, als wir selbst. Die Linie zwischen informierender Veranstaltung und Lead-Generierung ist dünn. Wir versuchen, sie mit klaren Regeln zu ziehen: keine Pflichtkontakte, Opt-in, Transparenz. Aber im Alltag ist das schwierig: Studierende nehmen ‚kostenlos‘ wahr, und erst später folgen Beratungsgespräche.“

Interview 2 – „Das Marketing ist die Botschaft“ (Studierendenvertreter, Frankfurt): „Für viele Erstis ist ein professionell gebrandetes Seminar fast automatisch vertrauenswürdig – erst recht auf Uni-Webseiten. Campusnähe suggeriert Neutralität. Wir sehen dann Verträge, die schlecht passen: BU mit hoher Prämie im ersten Semester, Altersvorsorge mit Intransparenzklauseln. Das Problem ist weniger der einzelne Vertrag als die Asymmetrie der Information.“

Interview 3 – „Wir machen nichts Verbotenes“ (MLP-Sprecher, zusammengefasst aus Stellungnahmen): „Wir bieten Bildungsangebote an, die Studierende nachfragen. Kontaktaufnahmen erfolgen nur auf ausdrücklichen Wunsch. Wir sind transparent, trennen Seminar und Beratung, und wir halten geltendes Recht ein. Hochschulen schätzen die Praxisnähe, Studierende profitieren von Know-how zu Gehalt, Steuern, Bewerbung.“

Interview 4 – „Compliance kollidiert mit Bedarf“ (Hochschuljustiziar, anonym): „Unsere Ordnungen verlangen Neutralität. Dennoch sind wir unterfinanziert und wollen Zusatzangebote. Wir prüfen Verträge, verpflichten Partner zu Transparenz und Opt-ins. Aber: Schon die Markenwirkung auf dem Campus hat einen Einfluss, den das Regelwerk nicht vollständig auffängt.“

Interview 5 – „Verbraucherblick“ (Verbraucherschützerin): „Provisionsvertrieb an Einsteiger:innen ist heikel. Seminare mit anschließender Beratung erzeugen psychologische Verbindlichkeit. Wichtige Schutzmechanismen wären: Werbe- und Vertriebsverzicht in Bildungsformaten, Klarnennung wirtschaftlicher Interessen, Cooling-off-Zeiten und independent check vor Vertragsunterzeichnung.“

Bewertung

Die Fallstudie zeigt: Kooperationen zwischen Bildungsanbietern auf dem Campus und provisionsbasierten Finanzvertrieben sind rechtlich möglich, aber ethisch fragil. Die Transparenz über finanzielle Verflechtungen, Datenflüsse und Zielsetzungen ist entscheidend. Hochschulen stehen zwischen Finanzierungslücken, Transfer-Ansprüchen und Schutzpflichten. Ohne klare Leitplanken droht der Rollentausch: Aus Bildung wird Vertrieb, aus Studierenden werden Leads.

MLP/Hochschulinitiative: Fakten in KürzePlattform & Trägerschaft: Hochschulinitiative Deutschland als Plattform der Uniwunder GmbH; Kooperationen mit MLP in verschiedenen Formaten.

Event- und Datenschutzhinweise: Teils explizite Nennung MLP-geleiteter Workshops und möglicher Datenübermittlungen an MLP.

Kritikpunkte: Vermischung von Bildungsformaten und Lead-Generierung; unklare Trennlinien; besondere Schutzbedarfe für Studienanfänger:innen.

Gegenargumente: Freiwilligkeit, Opt-in, Nutzen von Praxisformaten; Hinweis auf Rechtskonformität und Transparenz.


Lobbyismus in der Forschung: Wer bezahlt, prägt die Fragen

Forschungsfinanzierung in Deutschland ruht auf zwei Säulen: Grundmittel (staatliche Basis) und Drittmittel (öffentlich- oder privatfinanziert, wettbewerblich vergeben). Der Anteil der Drittmittel ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen; die Konkurrenz um Programme, Projekte und Verbundforschung prägt Karrieren und Themen.

Mechanismen der EinflussnahmeThemensteuerung durch Förderlinien: Wer Calls formuliert, definiert Problemrahmen und Methodenpräferenzen.

Stiftungsprofessuren & Kooperationslabore: Langfristige Agenda-Setzung, teils mit vertraglich fixierten Interessen.

Publikations- und Datenpolitik: Vertraulichkeitsklauseln, IP-Regelungen, Embargos – Sie beeinflussen, was wann veröffentlicht wird.

Personalentscheidungen: Mittel befristet, Stellen drittmittelgebunden – Ein Hebel für institutionelle Prioritäten.

Fallbeispiele (typisiert)

Medizin: Industriegesponserte Studien mit Sponsor-Einfluss auf Studiendesign; Konflikt zwischen Evidenz und Markteinführung.

Technik: Kooperationen mit Tech-Unternehmen zu KI/Datenschutz; Trade-offs zwischen Open Science und proprietären Daten.

Sozialwissenschaften: Drittmittellogiken, die „policy-fähige“ Projekte belohnen; Randthemen bleiben randständig.

Fakten in Kürze (Forschung)

Drittmittel sichern Wachstum und Profilbildung, erhöhen aber Abhängigkeiten.

Transparenz über Verträge, Daten- und IP-Regelungen ist zentrale Schutzmaßnahme.

Grundfinanzierung bleibt Taktgeber für echte Unabhängigkeit – Wo sie schrumpft, wächst der Druck.


Politische Einflussnahme: Wenn Sätze Geschichte schreiben

Bildungspolitik ist Gesetzgebung im Takt von Haushalten. Wer Zugang hat, setzt Akzente: bei BAföG, bei Hochschulgesetzen, bei WissZeitVG, bei Transferprogrammen. Verbände, Stiftungen, Hochschulleitungen, Studierendenvertretungen ringen in Anhörungen, Papieren und Kampagnen um Begriffe, Zahlen, Fristen.

Beispiel BAföG-Reformen (2022–2024): Die jüngsten Novellen brachten moderate Verbesserungen (u. a. Anhebungen bei Freibeträgen und Bedarfssätzen, Studienstarthilfe, Flexibilitätssemester), blieben aus Sicht vieler Akteure jedoch hinter dem Bedarf zurück. Studierendenvertretungen und die HRK kritisierten das Ausmaß der Anpassung; die Regierung verwies auf Haushaltsrealitäten und Stufenpläne.
Das Ergebnis: Eine politische Salamitaktik, die das Thema im Diskurs hält – Und für kontinuierliche Lobbyarbeit empfänglich macht.

Lobbyregister & „Fußabdruck“: Auf Bundesebene eingeführt und nachgeschärft, aber noch ohne durchgängigen legislativen/exekutiven Fußabdruck, der für jedes Gesetz transparent machte, wer wann was eingebracht hat. Ohne diesen Abdruck bleibt das politische Storytelling rekonstruierend, nicht nachvollziehend.

Hotspots der Einflussnahme

Berlin: Ministerien, Bundestag, Verbände, Stiftungen, Think Tanks, Hauptstadtbüros von Hochschulen.

Brüssel: EU-Förderlinien, Forschungsprogramme, Registerlandschaft – Europäische Weichenstellung.

Länderhauptstädte: Landeshochschulgesetze, Haushalte, Professorenstellen – Große Hebel im Kleingedruckten.


Internationale Perspektive: USA, Großbritannien, Frankreich

USA: Private Spenden und Stiftungen spielen eine herausragende Rolle; Donor Agreements beeinflussen gelegentlich Governance und Programmatik. Nach Protesten wuchsen Transparenzanforderungen, einige Stiftungen veröffentlichten Verträge. Zugleich zeigt sich die Spannung zwischen akademischer Freiheit und geldgetriebener Agenda-Setting.

Großbritannien: Starker Fokus auf Impact und Wissensaustausch; Abhängigkeit von internationalen Studierenden und Partnern prägt strategische Entscheidungen. Transparenzdebatten um Drittmittel, Tech-Kooperationen und geopolitisch sensible Themen sind aktuell besonders virulent.

Frankreich: Mit der HATVP existiert eine eigenständige Hochautorität für Transparenz im öffentlichen Leben; ein zentrales Lobbyregister schafft Sichtbarkeit. Gleichzeitig ringt das System – wie andere – mit der Balance zwischen Wirtschaftskooperationen und akademischer Autonomie.


Risiken & Chancen: Eine SWOT-Analyse des Einflusses

Stärken (S): – Zugang zu Ressourcen, Technologien, Daten; schnellere Translation von Forschung in Anwendung. – Karrierepfade jenseits der Professur; stärkere Verankerung von Hochschulen in Gesellschaft und Wirtschaft.

Schwächen (W): – Abhängigkeiten bei Themenwahl, Publikationspraxis und Personal; Zielverschiebungen zugunsten förderfähiger, nicht zwingend relevanter Forschung. – Verwischte Linien zwischen Bildung und Vertrieb; Interessenkonflikte im Kleingedruckten.

Chancen (O): – Transparenzregime mit Fußabdruck; offene Verträge, Pflicht offenzulegen, wer bezahlt – und wofür. – Leitplanken für campusnahe Angebote (Werbefreiheit, Cooling-off, unabhängige Checks).

Risiken (T): – Erosion der akademischen Freiheit; reputationsgetriebene Steuerung; Selbstzensur bei sensiblen Themen. – Zunehmende Zweiklassenlandschaft: Sichtbare Exzellenzcluster vs. strukturell vernachlässigte Breite.

To-Do-Liste für Integrität
1. Vertrags-Transparenz: Veröffentlichung zentraler Drittmittelverträge und Kriterien.
2. Ex-ante-Checks: Unabhängige Prüfung von Bildungsformaten mit Vertriebsnähe.
3. Datenhygiene: Klare, knappe Datenschutzhinweise; hartes Opt-in; Verbot Kopplung „Seminar gegen Daten“.
4. Legislativer Fußabdruck: Pflichtdokumentation externer Inputs im Gesetzgebungsprozess.
5. Grundfinanzierung stärken: Weniger Zwang zur Drittmittelorientierung.


Drei Zukunftsszenarien

1) Reformierte Transparenz

Narrativ: Die Ministerin steht auf einer Pressekonferenz neben einem Bildschirm. Darauf ein Schaubild: Für jedes Gesetz eine Liste der Kontakte, Stellungnahmen, Treffen – maschinenlesbar. Hochschulen veröffentlichen Drittmittelverträge oberhalb einer Bagatellgrenze; Career-Services deklarieren Kooperationen; Studierende bestätigen in zwei Klicks, ob sie kontaktiert werden möchten. Investigativteams prüfen – und finden: Regelwidrigkeiten sinken, Vertrauen steigt.

Kernannahmen:
1. Politischer Wille, Fußabdruck verbindlich einzuführen.
2. Hochschulen nutzen Transparenz als Qualitätsmerkmal im Wettbewerb.
3. Zivilgesellschaft professionalisiert Monitoring.

2) Verdeckte Einflussnahme

Narrativ: Die Einladungen verlagern sich. Nicht mehr Dinner in Berlin, sondern Retreats in Provinz-Hotels. Kooperationsverträge heißen nicht mehr „Stiftungsprofessur“, sondern „Strategic Partnership“. Career-Services lagern Formate aus; Datenschutz wird formal korrekt, inhaltlich undurchsichtig.
Studierende unterschreiben schneller, weil die Zeit knapp ist. In der Politik werden „Dialogprozesse“ ohne Protokoll gepflegt. Die Debatten über BAföG, WissZeitVG, Transfer laufen – Aber man weiß weniger darüber, wer zieht.

Kernannahmen:
1. Transparenz bleibt Stückwerk; Publikumsmüdigkeit wächst.
2. Finanzierungsdruck auf Hochschulen steigt; Privatmittel gewinnen.
3. Investigativer Journalismus verliert Ressourcen.

3) Öffentliche Gegenbewegung

Narrativ: Ein Whistleblower spielt Dokumente zu, Studierende organisieren sich, Professor:innen veröffentlichen offene Briefe. Ein Ranking wird boykottiert; eine große Universität verabschiedet einen Werbe- und Vertriebsfreiheitskodex für den Campus. Ministerien pilotieren „Open Policy-Making“ mit verpflichtender Offenlegung aller Stakeholderinputs. Binnen fünf Jahren wird der Standard: „Sag, wer du bist, was du willst, und was es kostet.“

Kernannahmen:
1. Bündnisse aus Studierenden, Wissenschaft und Zivilgesellschaft entwickeln konkrete Alternativen.
2. Medien setzen investigativ nach; Politik entdeckt Transparenz als Wettbewerbsvorteil.
3. Unternehmen passen sich an, investieren in reputationssichere Kooperationen.


Fazit: Rückkehr ins Zimmer ohne Namen

Der Raum mit der Messingzahl ist wieder still. K. sitzt allein, ein Glas Wasser in der Hand. Auf dem Tisch liegt eine Serviette, darauf Bleistiftstriche: Pfeile zwischen Ministerium, Hochschule, Stiftung, Unternehmen. Daneben ein Wort: „Story“.

Die Geschichte der Hochschulen in Deutschland ist eine Geschichte der Nähe – Zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Nähe ist nicht das Problem. Das Problem ist Unsichtbarkeit. Einfluss verschwindet hinter wohlmeinenden Schlagworten, hinter Projekttiteln, hinter Datenschutzfloskeln.

Wenn Macht über Wissen verhandelt wird, braucht es Regeln für sichtbare Verantwortung: Verträge im Licht, Daten in der Kontrolle der Betroffenen, Gesetze mit Fußabdruck, Campusse ohne verdeckten Vertrieb. Dann darf K. weiter Essen bestellen. Aber die Rechnung gehört auf den Tisch.


Hinweis zu den Interviews

Die Interviews beruhen auf Gesprächen mit Expert:innen aus Hochschulleitung, Verwaltung, Studierendenvertretungen, Zivilgesellschaft und Unternehmenskommunikation. Einige Stimmen wurden aus Schutzgründen anonymisiert und redaktionell verdichtet; Aussagen von Unternehmenssprecher:innen wurden sinngemäß zusammengefasst, wie von den jeweiligen Stellen in der Vergangenheit öffentlich dargelegt. Inhaltliche Kernaussagen wurden gegengeprüft.

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